„Wohl der Patienten steht weiterhin an erster Stelle“

PD Dr. med. Joannis Mytilineos, medizinischer Geschäftsführer des ZKRD

Ulm, 08. Dezember 2020: Die Corona-Krise scheint nicht enden zu wollen. In dieser schwierigen Zeit trat PD Dr. med. Joannis Mytilineos die Nachfolge von Dr. Dr. Carlheinz Müller als medizinischer Geschäftsführer des ZKRD an. Nach den ersten Monaten in dieser Position stellte er sich den Fragen zur aktuellen Situation und der Zukunft.

Frage: Herr Dr. Mytilineos, Sie treten in einer schwierigen Zeit die Nachfolge von Dr. Müller als Geschäftsführer des ZKRD an. Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für das ZKRD?

Dr. Mytilineos: Die Herausforderungen für das ZKRD liegen insbesondere in der weltweiten Zustellung der Stammzellspenden. Die pandemiebedingten Flugstreichungen und Quarantänen stellen nicht nur in Deutschland eine riesige Hürde dar, sondern auch in allen Ländern der Welt. Oft muss der Zeitplan zur Stammzellentnahme der Spender neu ausgerichtet werden. Und trotzdem ist es uns zusammen mit unseren Partnern gelungen, alle Spenden durchzuführen und zu den Patienten zu transportieren.
Die Spenderdateien können darüber hinaus während der Pandemie signifikant weniger neue Spender rekrutieren. Da Spender nur bis zum Alter von 60 Jahren spenden dürfen, fallen jedes Jahr einige potenzielle Spender weg. Im Jahr 2020 kamen nun krisenbedingt deutlich weniger Spender als sonst nach. Dieser Einbruch der Spenderzahlen wird sich noch auf die kommenden Jahre auswirken.

Frage: Welche Maßnahmen haben Sie und das ZKRD ergriffen, um in Zeiten einer überall auf der Welt grassierenden Pandemie weiterhin Patienten weltweit mit lebensrettenden Stammzellspenden versorgen zu können?

Dr. Mytilineos: Gerade zu Beginn der Pandemie mussten wir oftmals blitzschnell auf die veränderten Transportbedingungen reagieren. Das ZKRD hat sich diesbezüglich in den letzten Monaten sehr stark engagiert, sodass der Transport nicht nur deutschlandweit über das ZKRD läuft, sondern oftmals auch europaweit. Dabei kommen unsere Partner aus Frankreich, Italien und der Schweiz, aber auch aus Nicht-EU-Ländern wie der Türkei und Israel auf uns zu, damit wir den Transport nach Übersee für sie organisieren.

Eine weitere Maßnahme war die Kryokonservierung der gespendeten Stammzellen. Durch das Einfrieren wird die Lebensdauer der Zellen künstlich verlängert. Dies ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Stammzellspenden noch funktionstüchtig beim Patienten ankommen, gerade wenn dieser in Australien oder Neuseeland lebt. Allerdings sterben beim Einfrieren und Auftauen der Spende auch Zellen ab, so dass immer genau abgewogen werden muss, ob es wirklich notwendig und sinnvoll ist, dass eine Spende eingefroren wird.

Frage: Sie haben sich in Ihrer Karriere schon sehr früh mit dem Thema der Transplantationsimmunologie beschäftigt. Inwieweit können Sie bei der Ausübung Ihrer aktuellen Tätigkeit von Ihrer gesammelten Erfahrung profitieren?

Dr. Mytilineos: Die Transplantation ist ein nicht-physiologisches Vorgehen. In der Natur ist es nicht vorgesehen, dass Organe transplantiert werden, denn unser Immunsystem stößt fremdes Gewebe ab. Ich war siebzehn Jahre lang im Bereich der Organtransplantation in Heidelberg tätig und habe mich mit dem Thema beschäftigt, wie man unser Immunsystem sozusagen „austricksen“ könnte. Insofern hat mir meine wissenschaftliche Tätigkeit sehr geholfen, grundlegende Aspekte und Abläufe in der Transplantation zu verstehen.

Im Bereich der Stammzelltransplantation war ich von 2004 bis 2020 als Leiter des transplantationsimmunologischen Labors tätig. Dabei haben wir die größte Sucheinheit Deutschlands sowie eine mittlere Spenderdatei mitbetreut. So konnte ich das Themenfeld der Stammzellspende aus allen Perspektiven kennenlernen und bin mit allen Prozessen bestens vertraut. Als Leiter des ZKRD ist es mir sehr wichtig, dass wir uns auch immer wieder erneut die Sicht der Kunden und der Partner vor Augen führen.

Frage: Als deutschlandweites Register fungiert das ZKRD als Schnittstelle im Bereich der Stammzelltransplantation. Dies wird durch eine enge Kooperation mit Geschäftspartnern ermöglicht. Inwieweit hat sich die Corona-Krise auf das Netzwerk des ZKRD ausgewirkt?

Dr. Mytilineos: Wir sitzen alle im gleichen Boot, alle Einschränkungen, mit denen wir hier in Deutschland zu kämpfen haben, betreffen auch unsere internationalen Partner. Oft sogar weitaus gravierender als hier in Deutschland. Daher war es von Anfang an naheliegend, bestehende Kooperationen zu intensivieren und weitere Synergien zu finden. Deshalb hat die WMDA (die weltweite Dachorganisation) eine gemeinsame Plattform eingerichtet, so dass jedes Register weltweit jeweils seine aktuell geltenden Regelungen hochladen kann. So sind wir in der Lage, bereits im Vorfeld der eigentlichen Stammzelltransporte alle Modalitäten abklären zu können. Dies kommt sowohl den deutschen Patienten als auch den Patienten im Ausland zugute. Bisher ist es uns auch während aller Einschränkungen gelungen, dass jede Stammzellspende ihr Ziel bzw. ihren Patienten erreicht hat.

Frage: Es ist natürlich zum aktuellen Zeitpunkt nur sehr schwer abzusehen, was die Zukunft bringen wird. Können Sie uns dennoch einen kleinen Ausblick geben, wo Sie das ZKRD gerade sehen und wohin Sie es in den kommenden Monaten führen möchten?

Dr. Mytilineos: Ich kann natürlich nur spekulieren, wann sich die Situation wieder normalisieren wird. Ich denke aber, dass dies erst schrittweise mit einem Impfstoff geschehen wird. Bis dahin müssen wir – wie bisher auch – kurzfristig reagieren. Steigen die Fallzahlen, steigen auch unsere Probleme.

Mittel- bis längerfristig streben wir eine engere Kooperation mit den Transplantationszentren an, um diese bei den organisatorischen Abläufen der der Spende und der Transplantation zu unterstützen, soweit uns das möglich ist. Darüber hinaus wollen wir die logistischen Strukturen zwischen den Spenderdateien und dem ZKRD stärken. Das Ziel ist in beiden Fällen, einen Austausch wie aus einem Guss zu erreichen, wenn möglich, hilfreich oder erforderlich, durch automatisierte Prozesse.

Insgesamt sollen alle Kommunikationsmaßnahmen noch glatter ablaufen, damit Probleme gar nicht erst entstehen können. Die Versorgung der Patienten muss schnell und fehlerfrei ablaufen, das Wohl der Patienten und Spender wird auch weiterhin immer an erster Stelle stehen.

Über das ZKRD

Seit seiner Gründung 1992 stellt das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland mit Sitz in Ulm den Knotenpunkt des gesamten Spendersuch-Prozesses dar. Über die Datenbank des ZKRD läuft der Abgleich der anonymisierten Profile aller in Deutschland typisierten Spender mit den Daten der Patienten, die eine Blutstammzelltransplantation benötigen. Mithilfe der hauseigenen Software OptiMatch bearbeiten die rund 60 Mitarbeiter des ZKRD Suchanfragen aus dem In-und Ausland, um sicherzustellen, dass für jeden Patienten der beste Spender schnellstmöglich identifiziert werden kann. Durch seine weltweite Vernetzung kann das ZKRD zusätzlich auf die Datenbanken internationaler Register zugreifen.

Sonja Schlegel
Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Zentrales Knochenmarkspender-Register für die
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